An die, die außer mir auch vom Contergan gestaltet wurden

Irgendwann im August 2006 bekam ich einen Anruf vom Westdeutschen Rundfunk. Man habe gehört, ich sei Fotograf und ob ich mich nicht selbst fotografieren könne. Ich verstand zwar nur Bahnhof, willigte aber ein. Im Laufe der Zeit fand ich heraus, worum es ging. Weil am 27. November 2006 der 45. Jahrestag der Rücknahme des Schlafmittels war, und man einen zweiteiligen Spielfilm gedreht hatte, wollte man die Fotos zusammen mit allgemeinen Informationen auf der Homepage des WDR veröffentlichen.

Nun weiß ich, dass sich viele der so genannten „Opfer" schon seit Jahren weigern, sich fotografieren zu lassen. Es gab vor einigen Jahren mal einen Prozess, weil sich jemand beleidigt fühlte, dessen Kinderfoto in einem Biologiebuch abgedruckt war. Ich fand das seltsam. Wissen Sie, ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen, wo man sich nicht verstecken kann und habe dort auch sehr viel Liebe erfahren. Natürlich sprechen mich manchmal Menschen auf der Straße an, und natürlich sind nicht alle Fragen besonders intelligent, aber sie sind ehrlich gemeint.

Es ist völlig in Ordnung, sich zu zeigen. Die Menschen wollen nur was wissen.

Wenn sich alle verstecken, passieren nur so abstruse Dinge, wie ich sie vor ein paar Jahren in einem Münchner Sozialbürgerhaus erlebt habe. Das sagte die Chefsozialpädagogin: „Das (also in dem Fall mein behinderungsbedingtes Wohnungsproblem) können wir Gesunde uns nicht vorstellen." Seit wann ist eine Körperbehinderung eine Krankheit? Und dann wusste die Frau nicht, dass jeder Psychologe sie selbst erst mal als Borderlinepersönlichkeit mit Helfersyndrom einstufen würde. Also von wegen „wir Gesunde"! Von dieser blödsinnigen Bemerkung wütend geworden, hielt ich einen kleinen Vortrag über unsinnige Lehrmeinungen der Sozialpädagogik.

Da war zum ersten die Ansicht, dass behinderte Menschen Kunst machen, um sich zu therapieren. Ich meinte nur lakonisch, dass ich erstens gelernter Grafikdesigner sei, und dass ich bisher keine therapeutische Wirkung hatte feststellen können, schließlich seien meine Arme dadurch um keinen einzigen Zentimeter länger geworden. Zweitens sollen sich Sozialpädagogen mit ihren Klienten solidarisieren. Ich fragte dann den anderen anwesenden Sozialpädagogen, wie er sich das bei mir vorstelle. Ob er sich vielleicht die Arme abschneiden lassen würde, um sich mit den Contergangeschädigten zu solidarisieren.

Wenn sich die „Contergangeschädigten" wie wehleidige, verängstigte Opfer verstecken, passiert nur schlechtes. Jetzt, genau 50 Jahre nach dem Verkaufsstart von Contergan sind wir natürlich für ganz kurze Zeit in den Medien. Das kann nur gut sein.

In den letzten Jahren gab es einige Veränderungen in Deutschland, die uns zum Nachteil wurden: mehrere Krankenkassenreformen und das Arbeitslosengeld II. Unsere Renten sind dadurch zu niedrig geworden und es wird noch weiter gehen. Und dann sind viele von Schmerzen geplagt, dazu später noch ein paar Beobachtungen, vielleicht helfen meine Erfahrungen auch anderen.

Ich selbst musste schon anno 2003 den Versuch, das Abitur nachzumachen abbrechen. Ich hatte eine Art Trigeminusneuralgie. Es war aber keine, sondern ein chronischer Schmerz vom vielen Lesen in Zwangshaltung. Später kamen starke Rückenschmerzen und ich wurde – wie ich heute weiß, fälschlicherweise an der Bandscheibe operiert. Ohne die Conterganrente wäre ich schon längst in einem Heim. Wenn nun weitere Reformen der Bundesregierung kommen, wird von der Rente aber nicht mehr viel übrig bleiben.

Nun, ich verfolge seit Jahren die ängstlichen Versuche, auf die zu niedrige Rente aufmerksam zu machen. Mit der Zurückhaltung muss Schluss sein. Das Geld ist nötig! Der Staat wäre auch international ziemlich in Bedrängnis, wenn er ausgerechnet die „Contergangeschädigten" schlecht behandelt. Da können wir nichts dafür, denn der „Conterganfall" ist ein Stück Weltgeschichte und wir sind dadurch für andere auf der Welt ein Stück Hoffnung auf Besserung. Ich habe eine Tournee durch Bulgarien gemacht und mir wurden viele Fragen über den deutschen Sozialstaat gestellt. Ehrlich gesagt, wäre ich gerne dorthin als Entwicklungshelfer gegangen, aber dafür nimmt man nur Besserwisser und keine behinderten Menschen selbst.

Für ein paar Wochen schaut nun die Welt auf uns hier in Deutschland, denn Anfang November wird der Film „Eine einzige Tablette" ausgestrahlt. Ich wünsche mir, dass Sie sich zeigen und über sich erzählen. Seien Sie ehrlich und sagen Sie, dass die Rente mindestens verdoppelt werden müsste und sagen Sie auch, warum.

Nun, wie angekündigt etwas über die so genannten Folgeschäden. Mir ging es auch schon ziemlich schlecht. Ich hatte Schmerzen am ganzen Körper und konnte eines Tages plötzlich ein Bein nicht mehr spüren und bewegen. Heute geht’s wieder. Ich habe Vitamin B6 in hohen Dosen über zwei Jahre zu mir genommen und ein Bewegungsprogramm entwickelt. Dann habe ich mir ein Hilfsmittel gebastelt, damit ich mich nicht mehr verrenken muss, wenn ich aufs Klo gehe. Dann hat mir eines Tages ein Arzt ein Kreislaufmittel verschrieben und siehe da, nach drei Tagen waren meine Schmerzen weg. Das mit der Artrose ist also ein Ammenmärchen. Wenn es einer hat, dann ist es entweder erblich bedingt, oder er hat seine Gelenke jahrzehntelang zu stark belastet.

Wer seine Schmerzen los werden will, muss seinen Alltag ändern. Wir sind weder die Opfer noch die Helden, zu denen man uns machen wollte. Es ist also Quatsch, sich selbst und anderen vor zuspielen, man sein ja kaum behindert. Das tut nur weh.

In den letzten Jahren gab es hier in Bayern einige Treffen wegen der Schmerzen. Ich war ja nicht dort, aber die Angebote auf der Einladung haben mich schon stutzig gemacht. Da wollen wieder ein paar Leute ihre Heilversprechen unters Volk bringen. Also Finger weg von Reiki-Meditation und anderem esoterischem Blödsinn. Selbst die progressive Muskelentspannung ist mit Vorsicht zu genießen. Man braucht dazu nämlich einen studierten Psychologen mit therapeutischer Zusatzausbildung in Psychoanalyse oder Verhaltenstherapie. Ein normaler Arzt ist der falsche Prophet. Wenn man das nämlich macht, kommen einem die Gefühle relativ stark ins Bewusstsein. Darauf muss man sich vorbereiten. Abgesehen davon wirkt ein heißes Bad auch entspannend.

Wer kurze oder keine Arme hat, sollte auch mal Magnesium ausprobieren. Wer lange Arme hat, kann sich abstützen um den Rücken zu entlasten. Schauen Sie ihre Umgebung mal an. Ihr Rücken muss den ganzen Tag den Oberkörper in Balance halten. Das braucht mehr Mineralien,.