Ilse Falk MDB (CDU/CSU) und Christel Humme MdB (SPD)

 

 

 

 

 

 

 

 

offener Brief zur Mitteilung der beiden stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden im deutschen Bundestag Ilse Falk (CDU/CSU) und Christel Humme (SPD ) über den aktuellen Stand der Verbesserungen für Contergangeschädigte vom 13. November 2008

München, den 13. November 2008

 

Sehr geehrte Frau Falk, sehr geehrte Frau Humme!

Die Entscheidungen im Bundestag in diesem Jahr zu Gunsten der Conterganopfer sind ein Fortschritt, das ist unbestritten. Sie vertreten aber die Meinung, dass nicht mehr möglich sei, weil sonst Menschen mit ähnlichen Behinderungen (Sie meinen wohl Dysmelie) benachteiligt würden. Hierzu ist folgendes zu sagen:

Viele Conterganopfer haben ein Buch über die Geschichte der Entschädigung zu Hause. Als sie erwachsen wurden, haben sie es gelesen und waren entsetzt und verletzt, als sie feststellen mussten, dass man eine Zeit lang ernsthaft erwogen hatte, die Entschädigung für alle behinderten Kinder zu verwenden. Diese Idee klang wie versuchter Diebstahl. Nun lesen sie, man könne nicht mehr tun, weil andere Behinderte dann benachteiligt wären. Das ist wieder eine ähnliche Idee wie damals. Das ist wie Öl ins Feuer gießen, schreiben Sie doch kurz vorher über jene Opfer, die protestieren, weil sie noch weitergehende Forderungen haben. Alleine drei Stunden Haushaltshilfe pro Tag würden bei 12 Euro pro Stunde und 30 Tagen im Monat 1080 Euro kosten. Wobei viele keinen Anspruch auf Eingliederungshilfe haben, die das sonst übernehmen könnte.

Sie sehen, es ist leicht, sachliche Argumente für weitergehende Forderungen zu finden.

Es gibt sowohl in Deutschland als auch auf europäischer Ebene das Gleichbehandlungsgebot. Wenn man das auf die Conterganopfer anwendet, dann sieht es in Deutschland etwa so aus, dass sie gegenüber Unfallopfern schlechter gestellt sind. Ein Unfallopfer, das erwerbsunfähig geworden ist, bekommt 2/3 des Bruttolohnes. Der durchschnittliche Bruttolohn liegt derzeit bei etwa 27000 Euro im Jahr, was eine Rente von 1500 Euro im Monat bedeuten würde. Darüber hinaus erhalten Unfallopfer noch weitere Leistungen, die Conterganopfer nicht bekommen.

Auf europäischer Ebene ist ein Vergleich mit Großbritannien relevant. Dort leben nach Deutschland die meisten Opfer. Zudem ist der soziale Standard vergleichbar. Wie hoch die Entschädigungen dort sind, ist hinlänglich bekannt. Es liegt also eine Benachteiligung der deutschen Opfer auf europäischer Ebene vor – sowohl nach den Zielen des EU-Vertrags als auch nach der EU-Gesetzgebung.

Dann gibt es noch einen weiteren Grund für eine höhere Entschädigung: die Grünenthal GmbH beziehungsweise die gesamte Wirtz-Gruppe. Sebastian Wirtz ist nach meinen Informationen aus der Geschäftsleitung ausgeschieden, weil er sich mit den Mitarbeitern überworfen hat. Hintergrund ist die sehr hohe Fluktuation der Mitarbeiter. Niemand will dort arbeiten. Wer kann, verlässt die Firma. Das gefährdet die Grünenthal GmbH. In anderen Teilen der Wirtz-Gruppe dürfte es ähnlich aussehen.

Stellen Sie sich mal vor, die Firmengruppe geht bankrott. Dann würden 2 Milliarden Euro Umsatz zu einem großen Teil von ausländischen Firmen übernommen werden. Der Verlust wäre relativ groß. Die Leistungen für die Conterganopfer müssen nochmals erhöht werden, auch damit die Firma nicht mehr moralischem Druck ausgesetzt ist und ungehindert weiter existieren kann.

Nein, das Conterganproblem ist noch nicht befriedigend gelöst – für keine Seite!

Ich bemühe mich seit über einem Jahr um den Dialog zwischen der Familie Wirtz und den Conterganopfern. Dieser muss ebenfalls weiter geführt werden. Das ist eine Frage der Menschlichkeit für beide Seiten. Ich freue mich, dass Sebastian Wirtz damals den Mut hatte, sich mit mir wirklich auf eine Tasse Kaffee nach dreißig Jahren eisigen Schweigens zusammen zu setzen. Vielleicht ist ein weiterer Schritt möglich, denn ich kann mir vorstellen, dass sich einzelne Mitarbeiter der Grünenthal GmbH an der Lösung medizinischer Fragen beteiligen möchten. Sie dürften sich aber in dieser angespannten Atmosphäre nicht trauen, mit ihren Chefs darüber zu reden. Es täte aber den Opfern, der Firma und dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland gut.

Sie helfen weder den Conterganopfern, noch der Familie Wirtz oder den Mitarbeitern der Firmen der Wirtz-Gruppe, wenn Sie von den Conterganopfern einen Verzicht aus Solidarität mit anderen behinderten Menschen fordern. Wenn Ihnen jemand ins Auto führe, und die Versicherung würde von ihnen einen Verzicht auf Schadenersatz aus Solidarität mit jenen Autobesitzern fordern, deren Autos auf natürliche Weise verrosten, würden Sie sich sicher an den Kopf fassen!

Mir freundlichen Grüßen,

Christian G. Knabe

 

Antwort vom Büro von Ilse Falk (SPD)